Bericht zur Indienreise vom Januar 2014

 

Seit einigen Jahren hängt mein Herz jetzt schon an diesem Indienprojekt, das in unserer Sprache den schönen Namen „Stätte der Freunde“ hat. Hunderte von Bildern und viele Reiseberichte habe ich mit großem Interesse gesehen und gehört. Auf Veranstaltungen schildere ich alles möglichst anschaulich, aber eines durfte ich noch nicht erleben: Ich war selbst noch nicht vor Ort, um die Menschen und ihre Geschichte kennenzulernen.

 

Im Januar 2014 ist es dann endlich soweit. Am 14. des Monats kommen wir nach einem etwa zwölfstündigen Flug mit Zwischenstopp  in Abu Dhabi um kurz nach vier Uhr morgens Ortszeit etwas übermüdet in Trivandrum, der Hauptstadt von Kerala in Südindien an. Es ist natürlich um einiges wärmer als bei uns, aber trotz allem erträglich.

 

Vor dem neuen Flughafengebäude werden wir von Reghu, dem Schwiegersohn des Gründers von Mitraniketan, sehr freundlich begrüßt. Drei Taxis bringen uns mitsamt Gepäck  ins Hotel nach Nedumangad.  Zimmer in Beschlag nehmen, etwas frisch machen, die warme Kleidung durch leichtere ersetzen, und schon kommt der erste Ausflug auf den Markt in Nedumangad. Das frühmorgendliche bunte Treiben mit Gerüchen und Bildern, die man nicht unbedingt immer haben muss, aber auch andere, sehr viel angenehmere Eindrücke machen neugierig auf mehr.

 

Zurück von unserem ersten Ausflug treffen wir im Hotel Pater Thomas, der sehr gut deutsch spricht  und uns später nach Mitra begleitet. Auch ein deutsch-indisches Ehepaar, das wir aus Deutschland kennen, und ihre Schwester sind da und wollen uns begleiten.

 

Dann kommt die erste Fahrt ins Projekt, meine Anspannung wächst. Endlich sind wir da, vieles erkenne ich wieder, als wäre ich schon einmal hier gewesen, und ich tauche ein in eine Vielfalt von Erlebnissen: Die Kinder sind freundlich, Mr. Viswanathan und seine Frau begrüßen uns überaus liebevoll, besonders die „Neuen“, die Bäckerei ist sauber, ein kleines Frühstück mit Kaffee, Tee, Banane, Ananas und Gebäck wartet auf uns, und es finden gleich einige Gespräche statt. Ein erster Rundgang vermittelt mir die unterschiedlichsten Eindrücke, ich bin wegen der überwältigenden Atmosphäre einfach nicht in der Lage zu fotografieren. Am Nachmittag verabreden wir uns mit Reghu für den nächsten Tag.

 

Bei einem gemeinsamen Abendessen in Trivandrum nehmen wir die Gelegenheit wahr, um das Gesehene zu besprechen und den morgigen Tag vorzubereiten.

 

Am folgenden Tag fahren wir – die beiden „Neulinge“ - zum ersten Mal mit einer Rikscha nach Mitra – ein Abenteuer der besonderen Art, vor allem, was die Fahrweise betrifft: Hupen vor jeder Kurve, und es gibt viele davon, Überholen als Lieblingssport und möglichst kurz vor dem Gegenverkehr, aber zu unserer großen Überraschung passiert nichts.

 

Noch etwas erleben wir an diesem Tag zum ersten Mal: eine Versammlung in der Assembly Hall. Mich berührt das sehr; wir stellen uns vor und sagen ein paar Worte auf englisch, die Kinder beobachten uns mit großen Augen und hören aufmerksam zu. Was mir besonders auffällt, ist die Disziplin, die in dieser Halle herrscht: Ohne Einwirkung von außen wird es ruhig, einige ältere Mädchen stimmen ein Lied an und die anderen singen mit, dann werden kurze Texte vorgelesen, auch das Kommen und Gehen geschieht sehr geordnet, ein deutlicher Unterschied zu unseren Schulkindern.

 

Einige von uns machen nach kurzem Aufenthalt in der Bäckerei einen Rundgang durch Mitra. Wir sehen uns vor allem die Unterkünfte der Mädchen und Jungen an; dabei stellen wir fest, dass die Mädchen ihre Umgebung sehr sauber und ordentlich halten, bei den Jungen ist das anders, es wird uns bald klar, dass das „Boy´s Hostel“, unser nächstes Vorhaben,  so schnell wie möglich gebaut werden muss, denn das Wohnen dort ist unzumutbar. Wir besichtigen auch andere Einrichtungen wie die Werkstätten, Küche und Kantine – ebenfalls sehr heruntergekommen -, Kindergarten und Klassenzimmer im Grünen. Heute kann ich nach Herzenslust fotografieren.

 

Danach treffen wir uns im Büro mit Reghu zu einem ausführlichen Gespräch, bei dem es dank der Übersetzung unserer indischen Freundin (Malayalam) keine sprachlichen Hürden gibt und deshalb vieles angesprochen werden kann. Reghu berichtet von diesem Jahr in der Bäckerei und gibt einen Ausblick auf die Ziele, die er sich gesteckt hat. Auch das neue Vorhaben wird erörtert, Reghu wird uns Pläne zusenden, an denen wir dann noch Veränderungen vornehmen können.  Die Löhne der Bäckereiangestellten sind ebenfalls ein Thema, da die Bäcker nach ihrer Lernphase gerne abgeworben werden, indem man ihnen höhere Löhne bietet. Wir werden auch bei der Lösung dieses Problems helfen.

 

Nach dieser Besprechung haben wir alle ein sehr gutes Gefühl, es wurden Emotionen frei und vieles kam in Bewegung.

 

Die Bäckereitruppe fährt am nächsten Tag wie immer früh ins Projekt und nimmt ihre verschiedenen Arbeiten auf, die Nachzügler treffen dort etwas später Pater Thomas, der mit zwei Mitreisenden und mir eine Rundfahrt zu vier seiner Patienten macht, um uns seine alltägliche Arbeit zu zeigen, es ist belastend und sehr bedrückend, da es sich um Schwersterkrankte handelt.

 

Pater Thomas erzählt uns auf der Rückfahrt, wie sein Arbeitsablauf aussieht: Er fährt täglich ca.150 bis 200 km, um seine 30 Patienten zu besuchen und ihnen Kraft zu geben, dazu benötigt er etwa zwei Wochen. Mit dem zweiten Auto werden die Kranken ins Hospital oder zu anderen Behandlungen gebracht, Medikamente, Nahrungsmittel u.a. werden, so gut es geht, bezahlt.

 

Der 17. Januar ist ein besonderer Tag, denn erstens hat einer von uns Geburtstag und zweitens müssen wir leider schon Abschied nehmen. Die Bäcker haben gestern eine riesige Torte gebacken, heute werden leckere Schneckennudeln für alle hergestellt für die spätere Feier in der Assembly Hall.

 

Danach besuchen „Dr. Hans“ und wir, die beiden „Neulinge“,  zu Fuß Sashi („Mädchen für alles“ in Mitra) und seine Frau, um ihre Krankheitsgeschichte zu besprechen (schwere Arthrose in beiden Knien macht sie nahezu bewegungsunfähig) und einen kleinen Beitrag zu leisten, damit die teilweise teuren Medikamente bezahlt werden können, so stelle ich mir unsere Hilfe vor!

 

Mittags treffen wir uns bei Mr. Viswanathan und seiner Frau Sethu zum Mittagessen; alles schmeckt sehr lecker, sie haben sich viel Mühe gegeben. Auch unsere deutsch-indischen Freunde kommen dazu. Jetzt folgt natürlich das, was vorauszusehen war: Unser Geburtstagskind bekommt sein Ständchen, die tolle Geburtstagstorte und eine selbst gebundene Blütenkette. Es wird fotografiert und gratuliert. Auch die Torte muss probiert werden, sie ist nicht nur sehr fein, sondern sieht auch ganz toll aus.

 

Um 14 Uhr ist eine Feier in der Assembly Hall mit allen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Wir werden mit Applaus begrüßt, Reghu spricht sehr anerkennend über unsere Hilfe für das Projekt. Danach bekommen alle  Schneckennudeln, dank der Bäcker mit reichlich Zuckerguss, was ja sehr wichtig ist. Auch der Rest der großen Torte wird verteilt. Anschließend singen die Kinder zwei Geburtstagslieder. Jeder von uns erhält ein Geschenk als Erinnerung an unseren Aufenthalt. Jetzt heißt es leider Abschied nehmen, was mir ganz besonders schwer fällt.

 

Das vorherrschende Gefühl bei mir ist „Dankbarkeit“ dafür, dass ich diese Reise machen und viele großartige Eindrücke erleben durfte. Ich werde das alles nie mehr vergessen und tief in meinem Herzen tragen, wenn ich mich in Zukunft für unser Projekt einsetze.