Die Bären von Mitraniketan

Menschen zu helfen liegt Richard Nußbaumer am Herzen. Vor allem in Indien leistet er Außergewöhnliches.


Von Hendrikje Höpner-Kessel

 

Sie sind zum Knuddeln, wie sie da sitzen, in trauter Zweisamkeit und standesgemäßer Kluft. Weißes Hemd mit Firmenlogo, Pepita-Hose, Pepita-Rock, Schiffchen, rote Schleife. Bäcker und Bäckerin stellen die kleinen Bären auf dem Schreibtisch des Chefs dar. Und so putzig, wie sie aussehen, so beliebt sind sie. Und symbolhaft. Viele der Plüschtiere hat Richard Nußbaumer schon verschenkt. Jedes Mal ist es dem Besitzer von 43 Bäckerei-Filialen zwischen Karlsruhe und Pforzheim eine Herzensangelegenheit. Und ganz besonders, wenn es um „Mitraniketan“ geht.

Nicht nur ein Wort

Mitraniketan – das Wort hat viele Bedeutungen. Übersetzt heißt es „Stätte der Freunde“ und steht für ein gemeinnütziges Entwicklungsprojekt im südindischen Kerala. Dieses Projekt folgt einerseits den Lehren Mahatma Gandhis vom friedlichen Zusammenleben aller, andererseits dem Leitgedanken „Hilfe zur Selbsthilfe“. Mitraniketan heißt auch die Internatsschule, welche die Kinder ärmster Eltern ernährt und unterrichtet und die Basis des Projektes bildet.

 

Und schließlich ist Mitraniketan der Name des Ettlinger Vereins, den Richard Nußbaumer, der Arzt Dr. Hans Waldmann und der Bäckermeister Jürgen Musler Ende 2009 als Tochterprojekt ins Leben gerufen haben. Gemeinsam sammeln sie Spenden und setzen diese ohne, wie sie selbst sagen, „verwaltungsbedingte Reibungsverluste“ direkt vor Ort in Indien ein.

Weitaus schwerer als das Wort zu schreiben, ist es auszudrücken, was Mitraniketan für Richard Nußbaumer bedeutet. Wenn die Rede auf die Arbeit im Land kommt, macht der Bäckermeister kaum Pausen zwischen den Sätzen. Immer wieder hebt er die Arme. Immer wieder huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Immer wieder blickt er nachdenklich auf seine Hände, so, als hätte er das Gefühl, noch längst nicht genug getan zu haben. Wie sehr ihn das Projekt bewegt, zeigt sich vor allem, wenn er auf die Menschen in Indien zu sprechen kommt: Menschen, die „quasi aus dem Nichts ganz Großartiges erschaffen“; Frauen, die trotz bitterster Armut „unglaubliche Würde und absolut positiven Stolz“ ausstrahlen; Kinder, die „mit ihren riesigen Kohleaugen zu sprechen scheinen“ und deren Blicke einen für alle bürokratischen, klimatischen und sonstigen Hürden entschädigen.

Wie seinerzeit Gandhi, lehnt auch Richard Nußbaumer jede Art von Kult um seine Person ab. Er wird nicht müde darauf hinzuweisen, dass er selbst „nicht treibende Kraft“ des Projektes sei. Und er berichtet ausführlich von seinem Partner Dr. Hans Waldmann, der mit den Schülern eines Karlsruher Gymnasiums, das seit mehr als 15 Jahren eine Partnerschaft zu Mitraniketan pflegt, als medizinischer Berater nach Indien reiste. Er sei es auch, der nach einer Indien-Reise vor sieben Jahren die Idee für eine Bäckerei in Kerala hatte.

Container-Bäckerei

Richard Nußbaumer erwähnt Evelyn Richter, eine Expertin für Bäckereiausrüstungen (Werksvertretung von Sveba-Dahlen), von der der Vorschlag zur Container-Bäckerei stammt. Sie empfiehlt, eine Backstube mit allen Geräten eines konventionellen Bäckereibetriebes in einem Container in Deutschland einzurichten und ihn dann gebrauchsfertig nach Indien zu verschiffen. Er selbst sei nur der Kontaktmann gewesen. Auch seinen Mitarbeiter Jürgen Musler vergisst Richard Nußbaumer nicht. Unter seiner Regie wird der Betrieb vor Ort später zum Laufen gebracht. Was anfangs noch abstrakt klingt, nimmt bald konkrete Formen an: Im Juli 2006 geht die Container-Bäckerei, bis heute ungewöhnlichstes Spendenobjekt, auf die Reise nach Indien. Nach zwei Monaten Überfahrt und einem bürokratischen Hindernislauf bei den indischen Zollbehörden kann die Bäckerei endlich auf indischem Boden verankert werden. Seitdem sichert sie die Ernährung der etwa 320 Schulkinder und sorgt auch für zahlreiche Arbeitsplätze in Kerala.

Pläne und Zuversicht

Als nächstes soll ein Backhaus entstehen. Die Baupläne des indischen Architekten hat Richard Nußbaumer vor sich liegen. Wie der Anbau an den Container konkret aussehen soll, könne er sich aber noch nicht vorstellen. „Das stört mich ein bissle“, gibt Richard Nußbaumer zu. Doch er verlässt sich ganz auf seine Erfahrung mit bisherigen Projekten und die Menschen vor Ort. „Wenn ich sehe, wie toll sie das Marketing Center hergerichtet haben“, gerät er bei der Erinnerung an den Bau der Verkaufsstätte ins Schwärmen. „Die kriegen immer alles hin“, bemerkt er beinahe ungläubig. Ungläubig, weil die einheimische Arbeitsweise aus Sicht eines Europäers „zum Teil extrem gewöhnungsbedürftig“ sei. Der „Hilferuf“ aus Indien, man müsse das Backhaus ab sofort als Bauprojekt registrieren lassen, „habe ihm so richtig gut getan“, gibt der Bäcker freudestrahlend zu. Denn behördliche Forderungen bedeuten: Jetzt wird’s ernst! Das Gelingen des Backhauses – für Bäcker Nußbaumer „eine besondere Herzensangelegenheit.“ Sein herzliches Dankeschön gilt dabei den zahlreichen Helfern, die stets freiwillig und „mit Herz“ für die Finanzierung des Projektes sorgen. Zum Beispiel durch die Organisation von Benefizveranstaltungen: Erst kürzlich fand im Hause Nußbaumer wieder ein Bäckereifrühschoppen statt. Ende Oktober soll eine Böhmische Blaskapelle das Kurhaus Waldbronn und die Spendenkasse zum Klingen bringen. Damit Richard Nußbaumer sie bei seiner nächsten Reise nach Kerala symbolisch leeren kann. Mit von der Partie werden die goldigen Bären von seinem Schreibtisch sein – symbolisch und tatsächlich: Als Synthese aller Herzensangelegenheiten, die man bei der „Bäckerei mit Herz“ und deren Besitzer erfährt.

www.container-baeckerei.de